Archiv für Erdgeschichten / Agentur für unschätzbare Werte 2021/02

Archiv für Erdgeschichten / Agentur für unschätzbare Werte 2021/02


Beschreibung

Archiv für Erdgeschichten

Ulrich Koch

Bismarckstrasse 1

72793 Pfullingen


agentur für unschätzbare werte

gemeinnützige unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)

Gönninger Straße 112 72793 Pfullingen

Tel. 0151-10710576

www.unschaetzbare-werte.de info@unschaetzbare-werte.de


Betrifft : Die Würde des Menschen und das Menschenrecht der Inklusion


Lieber Ulrich,

der Inhalt dieser Flaschenpost stammt vom Flussgrund der Echaz in Pfullingen. Es ist Erde von dort, wo früher einmal das Haus "Klemmenstraße 2" stand. Unter diesem Haus floss die Echaz und in diesem Haus wohnte Marianne Schmid.

Durch ein altes Familienfoto sind wir mit der Geschichte dieser Frau, von der wir bisher noch kein Bild haben, in Berührung gekommen. Ihre Geschichte lag lange im Dunkeln. In der Gesellschaft, in der sie lebte, wurde ein Leben wie ihres als "lebensunwert" betrachtet. Darum wurde Marianne Schmid ermordet, genau wie 10653 andere Menschen, im Jahr 1940, in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Was wir heute von Marianne Schmid wissen, das hat der Pfullinger Stadtarchivar Stefan Spiller aus den Akten von damals erfahren. Für seine Recherchen sind wir ihm sehr dankbar. Dadurch kennen wir nun einige Lebensdaten und auch die Sterbedaten von 12 Menschen aus Pfullingen, die in Grafeneck ermordet wurden.

Was wissen wir von diesem Menschen, der hier in der Klemmenstraße gelebt hat? Die bürokratischen Aufzeichnungen aus der Nazizeit zeichnen kein menschliches Menschenbild. Auf dieser Grundlage können wir keine Geschichte im engeren Sinne schreiben. Aber wir haben viele Fragen. Darum stellen wir Fragen in den Raum. Dabei wirken auch Menschen mit, die in unserer Gesellschaft behindert werden.

Wir standen an dem Fluss an der Stelle, wo Marianne Schmid zuhause war und wir waren in Grafeneck, wo das Verbrechen geschah. Was wir uns dabei fragten,war:

Wie kennte das geschehen? Wie konnten PolitikerInnen , Verwaltungsleute,

Ärzt innen, Pfleger innen und all die anderen Täterinnen etwas tun?

Wie kam es eigentlich zu diesem ganz, ganz traurigen Punkt dass

Menschen mit Handicap wie Staub behandelt wurden? Das fragt unser

Kollege Eugen Blum. Das sind ja keine Staubmenschen, fügt er hinzu. Wie kann es sein, dass Geschichten, wie die von Marianne Schmid auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft noch lange verschwiegen wurden? Das fragt sich mit uns Sabine Kramer, die erst durch unsere gemeinsamen Erkundungen von der Geschichte ihrer Großcousine Marianne Schmid erfahr.

Kann es sein, dass diese Geschehnisse bewusst unter den Teppich gekehrt wurden in den Familien, in der Politik, in den Einrichtungen, die doch eigentlich dem wohl der Menschen dienen sollten, in einer, in unserer Welt die eigentlich doch so eingerichtet sein sollte, dass alle gut miteinander leben können.

Wie wäre eine Geschichte, die davon erzählt, dass jeder Mensch zählt? Wie wäre es mit unserer eigenen Geschichte? Wie war es früher? Wie ist es heutzutage? Wie soll es später einmal sein? Was brauchen wir fär eine gute Zukunft? Was hilft uns auf dem Weg dahin?

was haben wir noch vergessen?

tzbar• wert.

Pfullingen, den 6. September 2021

P.S.: Die Flasche für unsere Flaschenpost kommt aus dem alten Haus , in dem wir durch das Familienfoto auf die Geschichte von Marianne Schmid gestoßen sind. Hier haben wir die Flasche entdeckt. Dieses Haus in der Gönninger Straße 112 in Pfullingen hat Sabine Kramer von ihrem Vater Peter geerbt. Hier gibt es viele Dinge aus vergangenen Zeiten. Wir beschäftigen ans mit diesen Dingen , weil uns das hilft, wenn wir uns ein Bild von den Dingen machen wollen, die früher geschehen sind. Vielleicht finden wir so auch heraus, wie es in Zukunft gut weitergeht.