Donna J. Haraway: Unruhig bleiben

Donna J. Haraway: Unruhig bleiben


Beschreibung

In Donna Haraways Büchern wimmelt es von Cyborgs, Primaten, Hunden und Tauben. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine sowie zwischen Mensch und Tier verschwimmt. In ihrem neuen großen Buch ruft die feministische Theoretikerin das Zeitalter des Chthuluzän aus, das eben nicht - wie im Anthropozän - den Menschen ins Zentrum des Denkens und der Geschichte stellt, sondern das Leben anderer Arten und Kreaturen, seien es Oktopusse, Korallen oder Spinnen. Und nicht nur das: Es sollen neue Beziehungen entstehen, quer zu Vorstellungen biologischer Verwandtschaft. Im Zuge dessen setzt sich Haraway auch mit dem Klimawandel auseinander. Einmal mehr erweist sie sich als eine originelle und radikale Denkerin der Gegenwart.

Leben in der Zukunft: Um auf der Erde überleben zu können, brauchen wir andere Formen der Verwandtschaft, sagt die utopische Feministin Donna Haraway. Wie man sich das vorstellen muss, führt sie in „Unruhig bleiben“ auf schwindelerregende Weise vor.Aus der SendungLesartDas viel beschworene Anthropozän war gestern. Zumindest für Donna Haraway, die findet, dass der Begriff des Anthropozän, der in kritischer Absicht das Zeitalter beschreibt, in dem der Einfluss des Menschen sich handfest in der Erdgeschichte niederschlägt, nicht weit genug geht. „Wir müssen denken“, schreibt sie, also überlegen, wie es nach dem Anthropozän oder auch dem „Kapitalozän“ weiter gehen kann, und wie ein Leben auf der beschädigten Erde möglich sein wird. Hierfür erfindet sie das „Chthuluzän“ als ein Zeitalter fortdauernden Lernens.
Dass solche Thesen von der Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway kommen, ist wenig verwunderlich, denn spätestens seit ihrem feministischen „Cyborg Manifesto“ ist die Autorin bekannt dafür, Kategorien gründlich durcheinander zu bringen. SF nennt sie ihr Verfahren, was sowohl für Science Fiction steht, als auch für science fact, für spekulativen Feminismus oder für sting figures: Fadenspiele, die verschiedenste Elemente als Punkte locker miteinander verbinden. Wie ein Fadenspiel solle auch das Denken sein, es solle Fiktionen mit Fakten verbinden, neue Geschichten erfinden mit offenen Enden, an die sich weiter anknüpfen lässt.

Nur als „Symbionten“ haben wir eine Zukunft

Der Anlass ist ernst: Wir sind dabei, den Planeten durch Raubbau, Überproduktion und Überbevölkerung nachhaltig zu zerstören. In dieser Situation sei weder Technikoptimismus noch zynische Endzeitstimmung die angemessene Haltung, meint Haraway – stattdessen müssten wir „unruhig bleiben“ und aus der alten, männlichen Erzählung, in dem der einzelne Held raumgreifend die Feinde besiegt, aussteigen. Wir werden nicht als Individuen überleben, sondern nur im „Mit-Werden“ mit anderen Arten, in der „Sympoiesis“ und als Symbionten, schreibt Haraway. „Make kin, not babies“ ("Macht euch verwandt, nicht Babys") ist daher der oft wiederholte Slogan ihrer ökologischen Ethik, die auch darauf abzielt, dass die bislang Verdrängten, etwa indigene Bevölkerungen oder aussterbende Tierarten, einen Teil der Erde zurückgewinnen.
Besonders eindrücklich im Buch sind Haraways utopische Geschichten, die die Zukunft auf der Erde über fünf Generationen anhand der Protagonistin Camille imaginieren: In der Zeit ab 2025 haben Kinder drei Eltern und sogenannte „Syms“ sind menschliche Träger von Erbmaterial bedrohter Tierarten. Camille 1 erhält einige Gene des Monarchfalters und wird eine orange-schwarz gemusterte Haut haben, Camille 2 bekommt Schmetterlingsfühler.

Radikales Denken der Verwandlung

„Unruhig bleiben“ ist ein wildes Buch, und auch ein anstrengendes. Die Mixtur aus Science Fiction und Programmschrift mit ihren nicht immer schönen Wortungetümen ist nicht leicht zu verdauen und enthält, da es sich um eine Aufsatzsammlung handelt, auch etliche Wiederholungen. Doch es lohnt, sich durch „Unruhig bleiben“ beunruhigen zu lassen. Haraway praktiziert ein radikales Denken der Verwandlung, das keine Angst hat, die Idee des „Menschen“ über Bord zu werfen. „Human“ komme nicht von „homo“ sondern von „Humus“, sagt Haraway. Wir sind nichts weiter als Kompost.